Die 150-jährige Geschichte
des klassischen Alpinismus neigt sich seit Beginn des 21. Jahrhunderts endgültig dem Ende zu. Mein Buch „Berge. Mein Leben“ soll daher auch ein Weckruf sein, um
Fehlentwicklungen entgegenzusteuern, die Generationen von Tirolern in eine absolut falsche Richtung führen.
Mit der Überbewertung des
Sportkletterns in den Hallen verabschiedete sich der Österreichische Alpenverein vom Herzstück des klassischen Alpinismus, das den ÖAV über 130 Jahre prägte.
Besonders der seit den Nachkriegsjahren bis hinein ins 21. Jahrhundert höchst entwickelte Alpinismus brachte mit der Erschließung schwierigster Anstiege in den Alpen und Bergen der Welt zu allen Jahreszeiten die erworbenen Fähigkeiten und fundierten Kenntnisse deutlich zutage, welche für uns Alpenbewohner von größter Bedeutung sind.
Der Alpenverein müsste sich heute zunehmend Gedanken darüber machen, ob die aktuellen Trends der jetzigen Generation mit Alpinismus (Bergsteigen) noch in Einklang zu bringen sind.
So begann man um 1980 mit der Erschließung von Klettergärten sowie Routen mittels Bohrhaken von 20 bis 40 Metern einzurichten, die durch modernes Schuhwerk, den sogenannten Slicks, und leichter Bekleidung einen höheren Schwierigkeitsgrad als bisher ermöglichten. Von da an gab es nur mehr Sportkletterer mit leichter Ausrüstung und anstatt der früheren im Alpinismus angewendeten Fichtel-Haken verwendete man Bohrhaken und kletterte nur noch ohne Rucksack bei schönem Wetter. In der Folge ging es beim Klettern hauptsächlich nur noch darum, den nächsthöheren Schwierigkeitsgrad zu erreichen. Parallel zu dieser Zeit verlor der Alpinismus zunehmend an Bedeutung, die Berge wurden allmählich zum Sportplatz degradiert. Nicht mehr das Einzelerlebnis ohne Publikum in freier Natur war gefragt, sondern sich der Masse zu zeigen und vor allem auch zu zeigen, wer der Schnellere und Bessere ist. Bergläufe, Schipistengehen, Downhillen und vor allem das Sportklettern in Hallen an Plastikgriffen und -tritten gelten heute als das Nonplusultra. - Das Motto lautet: „Schwieriger, schneller, steiler, geiler!“
Im alpinen Gelände, ob im Sommer oder Winter, und vor allem bei Schlechtwetter mangelt es jedoch all diesen Sportlern an Erfahrung, um in der Natur einen Berg zu besteigen, besonders im Schrofengelände I. II. und III. Schwierigkeitsgrad, bei lockerem Gestein, von Gras durchsetzt, bei Nässe, Schnee und ohne genaue Beschreibung fehlt es am geschulten Auge, den richtigen Weg im Auf- und Abstieg zu finden. Denn auch das muss geschult werden, um am Berg zu überleben.
Da nützt die modernste Ausrüstung nichts, wenn man am Berg durch Unkenntnis im leichten Gelände abstürzt.
Basierend auf meinen langjährigen Erfahrungen als Bergsteiger, Bergführer und Bergretter lehrte ich bei den Grundkursen des Bergsteigens und Kletterns den Teilnehmern zuallererst auf herumliegenden Felsblöcken den richtigen Einsatz der Füße und Schuhe, denn sie hatten meist nur auf Straßen das Gehen und Laufen gelernt. Erst am zweiten Kurstag kletterte ich mit ihnen mit Füßen und Händen an verschiedenen Felswänden. Damit hatte ich bis zum Ende der Kurswoche mehr Erfolg, eine für alle zufriedenstellende Abschlusstour zu machen.
Seit über 150 Jahren spricht man vom Bergsteigen, also von der Fähigkeit des „Steigens im Auf- und Abstieg“. Die stärksten und ausdauerndsten Gliedmaßen des Menschen sind noch immer die Beine, sie müssen aber auch trainiert werden. Dazu gehört auch das Gehirn, das Sehen, Hören und Riechen in der Natur der Berge. Das Tastvermögen der Füße bis zu den Zehen wird beim Klettern an Plastiktritten in den Hallen total vernachlässigt. Starke Hände und Arme sind jedoch eher das Zeichen der Primaten.
Aufgrund der Überbewertung des Sportkletterns braucht man sich heute nicht wundern, wenn die Unfälle im Gebirge ständig zunehmen, sowohl im Winter wie Sommer, auf den Hausbergen bis hin zu den Westalpen wie auch im Himalaya. Inzwischen gibt es genügend Beispiele von Bergsteigern, die nicht überlebten, selbst die Besten sind darunter wie Hansjörg Auer, David Lama und Jess Roskelley, die im Juli 2021 nach Überwindung einer schwierigen Wand beim Abstieg in den Tod stürzten.
Im Sommer 2023 erreichten wir sogar einen Höchststand an Bergunfällen. Es ist eine Schande mit „Sportklettern“ die Mitgliederzahlen zu erhöhen, um damit die „Bergungskosten und Hubschraubereinsätze“ zu finanzieren. Psychisch wie physisch wäre das Erlebnis in unserer schönen Bergnatur auf alle Fälle sinnvoller als das Klettertraining in der Halle.
Vor allem aber stellt sich auch die Frage, wo nehmen wir in Zukunft den Nachwuchs für Bergrettung, Bergführer, Bundesheer und Exekutive her?
Sportklettern hat jedenfalls überhaupt nichts mit Bergsteigen oder gar mit Alpinismus zu tun.
Deshalb wäre es auch ehrlicher und sinnvoller, das Sportklettern in Hallen wie auch außerhalb an künstlichen Wänden als ÖSKV zu bezeichnen.
Anstatt weitere Kletterhallen zu installieren, scheint es wichtiger und vorrangiger zu sein mehr Schwimmbäder zu bauen, damit möglichst alle Kinder die Möglichkeit haben das Schwimmen zu erlernen. Für die allgemeine Gesundheit der Kinder gilt es das Gehirn, den Bewegungsapparat und das Herz-Kreislauf-System durch Bergwandern, Bergsteigen, Laufen, Radfahren, Schifahren, Schilanglaufen usw. zu stärken, um gesundheitlichen Spätfolgen entgegenzuwirken.
Den Beweis ihrer Selbstüberschätzung erbringen immer wieder Funktionäre des Alpenvereins, wenn sie glauben, sie können Kinder und Jugendliche beim Sportklettern durch Magersucht zu Höchstleistungen anregen. Tiefere Einsichten liefert Angela Eiter in ihrem Buch „Alles Klettern ist Problemlösen“.